Ulrich Retzki Berlin Kanzlei für Versicherungsrecht

Anzeigepflicht Vorerkrankungen PKV und BUV

Zur Anzeigepflicht bezüglich Vorerkrankungen beim Vertragsabschluss in der privaten Kranken­versicherung und Berufsunfähigkeits­versicherung

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Die Bedeutung dieser Thematik liegt darin, dass Versicherer immer wieder, anlässlich Leistungsprüfungen, Rücktritte ausüben und die Anfechtung der Verträge erklären, mit der Begründung, der Kunde habe seinerzeit bei Stellung des Antrages bestimmte Vorerkrankungen nicht angezeigt.

Frage: Unter welchen Voraussetzungen besteht überhaupt eine solche Anzeigepflicht?

1.) Es müssen „seitens des Versicherers“ (der Versicherungsgesellschaft) Gesundheitsfragen gestellt werden.
Das ist des Öfteren kritisch, wenn der Vertragsabschluss über einen Makler erfolgt, insbesondere wenn der Makler ein eigenes Antragsformular verwendet. Denn in diesem Formular aufgeführte Fragen sind dann praktisch Fragen des Maklers, nicht des Versicherers. Falls der Makler sein selbst entworfenes Formular mit dem jeweiligen Versicherer konkret abgestimmt hatte (in der Praxis eher selten(!)), neigen die Gerichte aber dazu, dass es sich um „Fragen des Versicherers“ handelt. Im Regelfall sind Fragen des Versicherers nur gestellt, wenn die Antragsformulare vom Versicherer stammen. Im Zweifel wird es dabei darauf ankommen, wie das Formular auf den Kunden wirkt, d.h. ob die Fragen vom Makler oder vom Versicherer gestellt sind.

2.) Sofern es sich im Antragsformular um Gesundheitsfragen des Versicherers handelt, müssen diese dem Kunden „gestellt“ werden.
Dieses „Fragen stellen“ wird häufiger bei Abschlüssen über Agenten (Versicherungsvertreter) kritisch, und zwar dann, wenn der Agent bzw. die Agentin die Ausfüllung des Antragsformulars selbst übernimmt, und Fragen dem Kunden vorliest oder mündlich stellt (in der Praxis vielfach(!)). Dann kommt es nicht mehr auf den Inhalt des Formulars an, sondern darauf, was der Agent genau fragt. Weichen die mündlichen Fragen des Agenten vom Formular ab, kommt es darauf an, ob der Kunde die konkreten mündlichen Fragen des Agenten ihm gegenüber mündlich zutreffend beantwortet hat. Grund: Agenten sind „Auge und Ohr“ der Versicherungsgesellschaft.
Soweit (1. und 2.) seitens des Versicherers dem Kunden Gesundheitsfragen gestellt werden, ist es eine Obliegenheit des Kunden, diese Fragen zutreffend zu beantworten.

Frage: Welche Auswirkungen kann es haben, wenn auf gestellte Gesundheitsfragen keine richtigen Antworten gegeben werden?

1.) Versicherer wollen sich vom Vertrag lossagen.
Die Versicherer erforschen, in der Praxis vor allem nach Leistungsanträgen die hohe Kosten auslösen, ob ihr Kunde damals beim Vertragsabschluss die Antragsfragen richtig beantwortet hat. Dazu richten sie Fragen an die frühere Krankenkasse, an frühere Versicherer und an seinerzeit behandelnde Ärzte. Ziel ist das Aufspüren ehemaliger Diagnosen oder Befunde, die im Antragsformular nicht erwähnt wurden.
Versicherer erklären dann zumeist mit ein- und demselben Schreiben sowohl den Rücktritt vom Vertrag als auch die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung.
Dagegen zur Wehr setzen kann man sich durch außergerichtlichen Dialog mit dem Versicherer, und wenn das nicht hilft, durch Klage.

2.) Variante: Anfechtung.
die Anfechtung gilt eine gesetzliche Ausschlussfrist von 10 Jahren. Die Anfechtung geht nur durch, wenn der Versicherer den Beweis führt, dass sein Kunde zu feststehenden Erkrankungen vorsätzlich falsche Angaben gemacht hat oder solche Erkrankungen bewusst verschwiegen hat, und wenn der Kunde dem nichts Plausibles entgegen halten kann.
Dieser Beweis gelingt in der Praxis zumeist dann, wenn es sich um schwere Krankheiten, chronische Krankheiten oder immer wieder auftretende Krankheiten handelt.
Ansonsten ist die Anfechtung unwirksam! In diesem Fall kommt es dann darauf an, ob der Rücktritt (das „mildere Mittel“) wirksam ist.

3.) Variante: Rücktritt.
Für den Rücktritt muss der Versicherer keine arglistige Täuschung beweisen, sondern nur, dass gestellte Gesundheitsfragen falsch beantwortet wurden. Doch es gelten weitere gesetzliche Anforderungen: Der Versicherer kann den Rücktritt nur innerhalb einer Monatsfrist wirksam ausüben und muss die Gründe in seiner Rücktrittserklärung angeben. Und: Der Rücktritt setzt voraus, dass eine ordnungsgemäße Belehrung des Kunden nach § 19 Abs.5, S.1 des Versicherungsvertragsgesetzes erfolgte. Daran scheitern in der Gerichtspraxis nicht wenige Rücktritte, denn immer wieder bleiben Belehrungen schlicht hinter den Anforderungen des Gesetzes zurück.
Um dem Gesetz zu genügen, muss die Belehrung sich vom Text deutlich abheben, und zwar so deutlich, dass sie vom durchschnittlichen Antragsteller nicht überlesen werden kann. Sie muss durch Platzierung und drucktechnische Gestaltung also derart ins Auge fallen, dass sie nicht zu übersehen ist. Inhaltlich ist bedeutsam, dass die Belehrung die Rechtsfolgen richtig angeben muss; sonst ist die Belehrung falsch, und damit ein ausgeübter Rücktritt wirkungslos.
Beispiel: Im Fall vor dem Landgericht Dortmund – 2 O 213/12 – unterlag der Versicherer, weil der Rücktritt schon formell unwirksam war. Eine Belehrung war zwar erfolgt, allerdings war sie weder deutlich hervorgehoben, noch umfasste sie den nötigen Hinweis, dass auch bei einer Vertragsanpassung es zu einem rückwirkenden Verlust des Versicherungsschutzes kommen kann, wenn die Vertragsanpassung als rückwirkende Einfügung eines Risikoausschlusses erfolgt!

Frage: Welche Besonderheiten gelten, wenn der Vertragsabschluss über einen Makler erfolgte?

1.) Ein Makler ist keine Agentur (kein Versicherungsvertreter) der Versicherungsgesellschaft, er gehört nicht zu deren eigener Vertriebsorganisation.
D.h. der Kunde kann sich gegenüber der Versicherungsgesellschaft nicht darauf berufen, dass „sein Makler“ beim Ausfüllen des Antragsformulars bestimmte Angaben „vergessen“ habe. Fehler des Maklers werden dem Kunden selbst zugerechnet. Füllt der Makler das Antragsformular aus, muss der Kunde selbst darauf achten, dass der Makler seine Angaben über Vorerkrankungen auch vollständig in das Formular einträgt. Andernfalls erlangt die Versicherung ja davon keine Kenntnis.

2.) Variante: Anfechtung.
Immer wieder kommt es zu dem Fall, dass der Kunde – wie er mir, als Mandant, später sagt – dem Makler bestimmte Vorerkrankungen ausdrücklich bekanntgibt, und der Makler dazu sagt, diese und jene Erkrankung sei nicht „relevant“ und müsse daher im Antragsformular nicht angegeben werden. Eine solche Erklärung eines Maklers wäre regelmäßig fahrlässig und ein Beratungsfehler.
Im Hinblick auf eine Anfechtung ist indes zu beachten, dass der Kunde, der auf die Richtigkeit der Beratung des Maklers vertraut hat, deswegen nicht arglistig handelte. Folge: Eine Anfechtung ist per se nicht wirksam!
In letzterem Fall stellt sich dann die Rechtsfrage, ob aber der Makler arglistig handelte, und ob ggf. eine Arglist des Maklers dem Kunden (Mandanten) zurechenbar ist. Die Mutmaßung, dass der Makler seine Provision verdienen will und er deswegen abgeneigt sein könnte, Vorerkrankungen anzugeben, genügt als solche noch nicht für die Bejahung einer Arglist. Dafür bedarf es weiterer Umstände des Einzelfalls. Um einer wirksamen Vertragsanfechtung zu entgehen, muss der Kunde in diesem Bereich sorgfältig vortragen und anwaltlich gut vertreten sein, denn sofern eine Arglist des Maklers im Ergebnis bejaht wird, gilt als
Beispiel: Der Fall vor dem Landgericht Dortmund – 2 O 321/12 – nach dem, wohl auch zu Recht, eine erwiesene Arglist des Maklers dem Kunden (Versicherungsnehmer) zugerechnet wird, wenn der Makler bei Antragstellung als Vertreter auftrat. Dazu, so das Landgericht Dortmund, genügt es, wenn der Antrag neben dem Kunden auch vom Makler unterzeichnet wurde.

3.)Variante: Rücktritt.
Falls bei Mitwirkung eines Maklers tatsächliche Vorerkrankungen nicht eingetragen wurden, weil der Makler sie für nicht „relevant“ erklärte, kann ein Rücktritt des Versicherers wirksam sein; denn ein Beratungsfehler des Maklers ist der Versicherungsgesellschaft nicht zuzurechnen.
In der Praxis fällt nicht selten bei Makleranträgen auf, dass z.B. die Antragsfrage nach ärztlichen Untersuchungen, Behandlungen oder Beratungen in den vergangenen 5 Jahren mit „Nein“ angekreuzt wurde. In einem Land, in dem nahezu jeder Krankenversichert ist, deutet solch eine Antwort auf eine schier makellose Gesundheit hin. Es gibt jedoch hierzulande bekanntlich kaum einen Menschen, der in 5 Jahren nie beim Arzt war. Die Antragsfrage ist daher in der Regel objektiv falsch beantwortet, so dass der Versicherer einen Rücktritt beizeiten in Erwägung ziehen bzw. ausüben wird.

In letzterem Fall scheint auf den „ersten Blick“ für den Versicherungsnehmer (Mandanten) kaum noch eine Chance zu bestehen, sich gegen den Rücktritt erfolgreich zu wehren. Doch der erste Blick trügt. Denn: Da praktisch Jede(r) in den vergangenen 5 Jahren mal beim Arzt war, steht dem angekreuzten Nein die Falschheit „auf die Stirn geschrieben“. Die Versicherung musste selbst erkennen, dass das Nein mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit falsch ist, da überhaupt kein Arztbesuch in 5 Jahren ganz und gar lebensfremd wäre. Hier traf die Versicherungsgesellschaft deswegen eine sofortige Nachfrageobliegenheit; ist die Nachfrage unterblieben, kann sich der Versicherer auf dieses „falsche Nein“ später nicht mehr berufen.

Ulrich Retzki
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Rechtsanwalt