Ulrich Retzki Berlin Kanzlei für Versicherungsrecht

Berufs­unfähigkeits­versicherung und Zeitpunkt

Thema: Ist der Versicherer im Zeitpunkt der Abgabe eines aufgrund zunächst nachgewiesener Berufs­unfähigkeit gebotenen Anerkenntnisses der Ansicht, bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit sei aber schon wieder entfallen, so kann er nach höchstrichterlicher Rechtsprechung eine wirksame Ablehnung von Leistungen nur unter Beachtung der in seinen Bedingungen festgelegten Nachprüfungs­regelung erklären

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Krankheiten können zu Berufsunfähigkeit führen. Dieses Risiko kann man deswegen sinnvoll versichern. Ansprüche aus BU-Versicherungen auf Rentenzahlung und beitragsfreie Fortführung entstehen in den marktüblichen Verträgen ab Erreichen der Schwelle mindestens 50%iger Berufsunfähigkeit.

Betroffenen Versicherten stellt sich immer die Frage, wann der richtige Zeitpunkt ist, einen Antrag auf Leistungen wegen Berufsunfähigkeit zu stellen. Dieser Zeitpunkt ist nicht ohne weiteres sicher auszumachen, zumal – über die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit hinaus – die Prognose einer Dauerhaftigkeit für jedenfalls sechs Monate zu stellen ist. Maßstab hierfür ist eine objektive medizinische Beurteilung.
Wegen dieser Schwierigkeit stimmt der Zeitpunkt der Antragstellung meistens nicht mit dem Zeitpunkt des Beginns der objektiv 50%igen Berufsunfähigkeit überein. Nicht selten stellen, nach meiner Erfahrung, Betroffene ihren Antrag eher relativ spät. Das Prüfungsverfahren der Versicherer dauert, ab Eingang des Antrags, in der Regel drei bis sechs Monate.

Immer wieder ergeben sich dann seit je her Fallkonstellationen, in denen die Versicherungsgesellschaft dem Versicherungsnehmer schließlich erklärt, dass sie in Auswertung aller Erhebungen zum Ergebnis kommt, dass sie ab einem bestimmten bereits in der Vergangenheit liegenden – z.B. elf Monate zurückliegenden – Zeitpunkt Renten zahlt, zugleich jedoch erklärt, dass die Berufsunfähigkeit inzwischen – etwa vor drei Monaten – schon wieder weggefallen sei. In diesem Beispiel würden folglich Renten für acht Monate gezahlt, und der Fall damit als erledigt betrachtet.

Wenn der/die betroffene Versicherte tatsächlich wieder gesundet ist und wieder arbeiten kann, ist das kein Problem. Ist es aber anders, d.h. besteht die Krankheit tatsächlich fort, und besteht hierüber indes eine Meinungsverschiedenheit zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer, so muss Klage auf Fortgewähr der Rentenzahlung erhoben werden.

Für den Anspruch des Versicherungsnehmers auf Weiterzahlung muss in dieser Konstellation primär geprüft werden, ob in den Bedingungen ein befristetes Leistungsanerkenntnis vorgesehen ist. In den meisten Bedingungswerken findet sich keine entsprechende Regelung. Typischerweise erfasst das Leistungsanerkenntnis sowohl in der Vergangenheit bereits entstandene wie erst künftig zur Entstehung gelangende Ansprüche des Versicherungsnehmers auf wiederkehrende Leistungen. Ersteres ist dadurch bedingt, dass zwischen Eintritt bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit, ihrer Geltendmachung beim Versicherer, dessen daran anschließender Prüfung seiner Leistungspflicht und der schließlich zu treffenden Entscheidung unterschiedlich lange Zeiträume zu verstreichen pflegen. Letzteres ergibt sich regelmäßig daraus, dass Berufsunfähigkeit im Sinne der üblichen Bedingungen als ein voraussichtlich andauernder Zustand zu prognostizieren ist, bzw. unter bestimmten Voraussetzungen als voraussichtlich andauernd prognostizierbar fingiert wird.

Daraus folgt aber nicht, dass der Versicherer von der in seinen AVB für den Fall anzuerkennender Berufsunfähigkeit übernommenen Selbstbindung frei bliebe, wenn nach seiner Beurteilung die zunächst anzuerkennende Berufsunfähigkeit später, und bereits vor Abgabe seiner Anerkenntniserklärung, wieder entfallen ist. Auch dann ist nämlich die bedingungsgemäße Beurteilung, ob die einmal eingetretene Berufsunfähigkeit bereits wieder entfallen ist, nur im Wege des Vergleichs zweier Zustände und ihrer Auswirkungen möglich. Auch in derartigen Fällen bedarf nach höchstrichterlicher Rechtsprechung der Versicherungsnehmer des Schutzes, den ihm die in einem Nachprüfungsverfahren zu liefernde nachvollziehbare Begründung des Versicherers für das Entfallen seiner Leistungspflicht bietet.
Das ist interessengerecht, denn der Versicherungsnehmer hat auf den Zeitpunkt, zu dem der Versicherer seine nach den Bedingungen gebotene Anerkenntniserklärung abgibt, weitgehend keinen Einfluss. Die Besonderheit liegt nur darin, dass der voraussichtliche Dauerzustand, der den Versicherer zur Abgabe des in seinen AVB zugesagten Anerkenntnisses verpflichtet, nach seiner Ansicht schon wieder entfallen sein soll. Damit ist aber die gleiche Situation gegeben, wie sie üblicherweise in einem dem Anerkenntnis erst nachfolgenden Nachprüfungsverfahren besteht. Beide Male wird ein Vergleich zweier Zustände und ihrer Auswirkungen notwendig. Damit bleibt der Versicherungsnehmer bezüglich der Nachvollziehbarkeit der Ablehnung ebenso schutzbedürftig wie in einem dem Anerkenntnis nachgeschalteten Nachprüfungsverfahren.

Dass der Sachverhalt, der Gegenstand der Nachprüfung des Versicherers ist, zum Zeitpunkt seiner Entscheidung bereits der Vergangenheit angehört, wird nur insoweit entscheidungserheblich, als der Versicherer nicht verpflichtet ist, zunächst nur isoliert ein Anerkenntnis abzugeben. Insoweit ergibt eine Auslegung im Normalfall, dass - nach Sinn und Zweck der Nachprüfungsklausel - Anerkenntnis und Nachprüfungsentscheidung miteinander verbunden werden können. Etwas anderes kann nach der Rechtsprechung ein verständiger Versicherungsnehmer in derartigen Fällen nicht erwarten. Der Versicherte darauf indes erwarten, dass der Versicherer ihm nachvollziehbar darlegt, wie er trotz zunächst nachgewiesener Berufsunfähigkeit zur Annahme gelangt ist, die Berufsunfähigkeit sei späterhin bereits wieder entfallen. Vom Versicherer wird letztlich nicht mehr als die Bekanntgabe der für seine Leistungsablehnung ohnehin unentbehrlichen Grundlage, nämlich der nachvollziehbaren Vergleichsbetrachtung samt dabei ausgewerteter Expertisen, gefordert.

Fazit: Der Nachweis des Entfallens einmal entstandener und damit anzuerkennender Leistungspflicht ist allein Sache des Versicherers. Dieser Umstand enthebt den Versicherungsnehmer jedoch auch in Fallkonstellationen wie der hier beschriebenen nicht der praktischen Notwendigkeit, gegen den Versicherer im Klagewege vorzugehen, wenn er dessen "befristetes" Anerkenntnis nicht hinnehmen will.

Ulrich Retzki
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Rechtsanwalt