Ulrich Retzki Berlin Kanzlei für Versicherungsrecht

Kapitallebens­versicherung

Über die Kapital­lebens­versicherung, Gedanken von Ulrich Retzki

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In Deutschland gibt es ca. 98,1 Millionen Lebensversicherungsverträge. Verbreitet ist vor allem die Kapitallebensversicherung. Sie gilt als klassische Sparanlage. In der Regel werden Laufzeiten zwischen 20 und 30 Jahren vereinbart. Die Beiträge können als Vorsorgeaufwendungen steuerlich geltend gemacht werden. Finanziell interessant ist eine Kapitallebensversicherung durch die Beteiligung des Versicherungsnehmers an den vom Versicherungsunternehmen erwirtschafteten Überschüssen. Diese Überschussbeteiligung wird im Erlebensfall am Laufzeitende zusätzlich zur Versicherungssumme ausgezahlt. Allerdings: Nur etwa 50 % aller Versicherungsnehmer halten überhaupt bis zum Laufzeitende durch! Denn etwa die Hälfte aller Verträge wird, auf Grund finanzieller Engpässe oder wirtschaftlichen Umdenkens, vorzeitig beendet. Vielfach werden solche Verträge bereits nach zwei bis fünf Jahren gekündigt oder beitragsfrei gestellt. In solchen Fällen einer frühen Kündigung verliert der Versicherungsnehmer nahezu sein gesamtes eingezahltes Geld. Denn seit Jahrzehnten wenden die Versicherungsunternehmen das so genannte Zillmersche Verfahren an, was bedeutet, dass die Beiträge des Versicherungsnehmers in den ersten Jahren dazu dienen, die vom Versicherungsunternehmen „verauslagten“ Vertragskosten und Provisionen zu decken. Mit anderen Worten: Die Beiträge der ersten zwei bis drei Jahre werden nicht zur Bildung des Sparguthabens verwendet, sondern zum Ausgleich entstandener Kosten. Betroffene Versicherungsnehmer, die ihren noch recht jungen Vertrag kündigen und sich bei ihrem Versicherer nach der Höhe ihres Guthabens erkundigen, sind meist bitter enttäuscht. Häufig steht auf der Guthabenseite nur ein Kleinstbetrag. Auf der Suche nach dem verlorenen Geld schaut man schließlich in die Allgemeinen Versicherungsbedingungen, die in der Lebensversicherung kurz ALB genannt werden. Doch auch durch intensive Lektüre wird man nicht schlauer. Grund: Eine verständliche Darlegung des Zillmerschen Verrechnungsverfahrens fehlt dort.

Der Bundesgerichtshof entschied mit zwei Urteilen vom 9. Mai 2001 – IV ZR 138/99 und IV ZR 121/00 –, dass die einschlägigen Regelungen in den ALB intransparent und damit rechtsunwirksam sind. Mit intransparent meinte der Bundesgerichtshof – insbesondere bezogen auf die Kapitallebensversicherung – dass der Versicherungsnehmer keine Möglichkeit habe, anhand der ALB den jeweiligen Zeitwert seines Vertrages festzustellen und ihm damit auch die Möglichkeit genommen sei, dass Angebot eines bestimmten Versicherungsunternehmens mit Angeboten konkurrierender Unternehmen zu vergleichen bzw. das Produkt einer Kapitallebensversicherung mit anderen Formen von Sparanlagen zu vergleichen. Man konnte meinen, die beiden Urteile des BGH waren der große Durchbruch. Wer das erwartete, wurde jedoch alsbald enttäuscht. Denn im Ergebnis blieb vielfach schlicht und ergreifend alles beim Alten. Wie das funktionierte? Viele Versicherer wendeten das im Versicherungsvertragsgesetz (VVG) vorgesehene Treuhänderverfahren an. Das macht es möglich, unwirksame Bestimmungen in Allgemeinen Versicherungsbedingungen durch andere wirksame Bestimmungen zu ersetzen, sofern ein unabhängiger Treuhänder dem zustimmt. Der Trick in concreto bestand darin, die intransparenten Klauseln durch neue, besser verständliche Klauseln zu ersetzen, die aber inhaltsgleich und hinsichtlich der wirtschaftlichen Folgen völlig identisch waren. Die eingesetzten Treuhänder stimmten jeweils zu. Auf diese Weise blieben die Urteile des BGH vom 9. Mai 2001 für die Versicherungsunternehmen ohne finanzielle Konsequenzen.

Von großem Interesse waren alsdann die drei durch den Bund der Versicherten per Verfassungsbeschwerden erwirkten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 26.07.2005 – 1 BVR 782/94, 1 BVR 80/95, 1 BVR 957/96 - . Das BVerfG entschied, dass die Regelungen zur Überschussbeteiligung undurchschaubar sind und eine Prüfung, ob die Versicherten richtig an den Überschüssen beteiligt werden, verunmöglichen. Es bestehe die nahe liegende Gefahr, dass die Überschüsse kleingerechnet und die Beteiligungen der Versicherten geschmälert werden. Das BVerfG erklärte die Regelungen für teilweise verfassungswidrig. Es ist aber angesichts der Zurückhaltung des Bundesverfassungsgerichts – der Deutsche Bundestag muss bis zum 31.12.2007 geeignete Gesetze in Kraft setzen - durchaus Skepsis geboten, wenn erwartet wird, es werde in Folge des Urteils des BVerfG zu entscheidenden Verbesserungen für die Versicherungsnehmer kommen. Das Verdikt der Verfassungswidrigkeit bestehender Zustände schafft als solches noch keine Verbesserungen. Da es der Interessenlage der Versiche-rungsunternehmen nicht entsprechen dürfte, gewichtige Änderungen vorzunehmen, werden konstruktive Umsetzungsvorschläge von Versicherungsnehmerseite kommen müssen.

Von erheblichem Interessen sind nun aber zwei neue Urteile des Bundesgerichtshofes vom 12. Oktober 2005 – IV ZR 162/03 und IV ZR 177/03 –. Nunmehr urteilt der BGH, dass die inhaltsgleiche Ersetzung der unwirksamen Klauseln mittels des Treuhänderverfahrens nichtig ist. Dabei stellt der BGH klar heraus, was am deutlichsten ins Gewicht fällt, nämlich dass die Versicherungsnehmer bei Vertragsschluss objektiv keine Möglichkeit hatten, zu erkennen, welche erheblichen finanziellen Nachteile es ihnen bereitet, wenn sie den Vertrag nach wenigen Jahren Laufzeit kündigen. Eben diese entscheidende Folge des „Transparenzmangels“ lasse sich, so zutreffend der BGH, nicht dadurch beseitigen, dass ein Treuhänder im Nachhinein inhaltsgleichen, besser verständlichen, Klauseln zustimmt. Das nützt dem Versicherungsnehmer nichts.

Die Frage ist nun: Was ist die Folge der beiden neuen BGH-Urteile? Es wird nicht gefordert werden können, dass diejenigen Versicherungsnehmer, die ihre Verträge frühzeitig kündigen, ihr gesamtes eingezahltes Geld zuzüglich Zinsen ausgezahlt bekommen. Das ginge zu Lasten derjenigen, die ihren Vertrag über die volle Laufzeit erfüllen, weil diese dann die Vertragskosten der Kündigenden mitfinanzieren müssten. Solches zu fordern dürfte unrealistisch sein. Der BGH erwägt, dass im Wege ergänzender Vertragsauslegung denjenigen, die frühzeitig kündigen, ein angemessener Mindestbetrag gezahlt werden muss. Ein konkretes Ergebnis liegt aber noch nicht vor. Der BGH hat in beiden Fällen die jeweilige Sache an die Instanzgerichte zurückverwiesen. Es steht nun aber zu erwarten, dass die 50 % Versicherungsnehmer, die ihre Kapitallebensversicherung frühzeitig kündigen, in Zukunft mit deutlich höheren Ablaufleistungen rechnen können als bisher.

Im Übrigen sollte jeder, bevor eine frühzeitige Kündigung oder Beitragsfreistellung einer Kapitallebensversicherung in Erwägung gezogen wird, überlegen, ob nicht ein Verkauf der Lebensversicherung die bessere Alternative ist. Schätzungsweise nur 5 bis 10 % aller Versicherungsnehmer sind überhaupt über die Möglichkeit, ihre Kapitallebensversicherung zu verkaufen, informiert. Es empfiehlt sich, neben einem Angebot der eigenen Versicherungsgesellschaft mehrere Angebote von Aufkäufern einzuholen. Insbesondere bei Policen als besonders finanzstark bekannter Lebensversicherer ist mit sehr unterschiedlichen Kaufangeboten zu rechnen.

Ulrich Retzki
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Rechtsanwalt